Auf der Todesanzeige von unserem Mitbruder Edgar steht das Wort vom Hl. Paulus, das wir eben gehört haben: Ich habe das Verlangen, aufzubrechen und bei Christus zu sein.
Das ist das Ziel unseres Lebens, für immer bei Christus, bei Gott zu sein. Im Evangelium haben wir aber gehört, dass dieses Aufbrechen nicht immer einfach ist. Für die Emmaus-Jünger war dieses Aufbrechen einmal eine Flucht vor Enttäuschung, einmal eine schnelle Rückkehr, um den anderen die frohe Botschaft mitzuteilen. So oder so haben beide Aufbrüche mit einer Gotteserfahrung zu tun gehabt. P. Edgar meinte dazu folgendes:
Manche sind sofort bereit aufzubrechen, zu neuen Ufern vorzustossen. Andere brauchen Tage, Wochen, ja vielleicht sogar Jahre um sich selbst zu überzeugen, um andere zu überreden, zu überzeugen.
Wir brechen auf mit mehr oder weniger leichtem Gepäck, das wir für die Reise bereit gemacht haben. Aber wie oft müssen wir zuerst innere Vorbehalte, Hemmnisse, Ängste überwinden. Gerade die Ängste wären schweres Gepäck. Wir wollen nicht stolpern, nicht unter äusserlichem oder innerlichem Gepäck zusammenbrechen.
Wie oft brach P. Edgar auf? Unzählige Male hat er es getan. Zuerst mal von Zuhause hier in die Untere Waid, wo er die Schule gemacht und der Kongregation der Salettiner beigetreten ist. Dann brach er nach Fribourg auf, wo er Theologie, dann Wissenschaften studierte. Von dort kam er wieder in die Untere Waid, wo er am Gymnasium Untere Waid neun Jahre unterrichtete. Von hier aus brach er nach Sindelfingen auf um dort gut 30 Jahre als Seelsorger zu wirken, mit den jungen Menschen neue Wege zu beschreiten und zu armen Missionsländern aufzubrechen. Vor allem für Angola und Bolivien schlug sein Herz.
Als P. Edgar 70 wurde brach er wieder auf, um in das Mutterhaus in die Untere Waid zurückzukehren. Er wollte nicht als Pflegefall hierher kommen. Gut vier Jahre durfte er noch in der Seelsorge mitwirken. Dann kam leider die Krankheit, die ihm die Sprache wegnahm. Jahrelang kämpfte er sich durch, bis er für den letzten Aufbruch bereit war. Er selbst schrieb dazu:
Dann kommt jene Stunde, die uns Angst macht, die Stunde des Abschieds. Dabei verbergen wir gerne die wahren Gefühle. Wir erfahren aber, dass Lachen und Weinen nahe beisammen liegen. Ein lachender Abschied in die Befreiung, in die Entdeckung und Erfahrung von ganz neuen Welten.
Wie viele unserer schönsten Volkslieder singen von der Sehnsucht, zu entdecken, was hinter «jenen Bergen» liegt, was sich hinter fernen Horizonten verbirgt.
Aber eben davor steht das Loslösen, geliebte Menschen zurücklassen, langgehegte Vorlieben aufgeben, aus der Geborgenheit hinaus treten in die Verletzlichkeit, in das Ungeschützt sein. Das Ungeschützt sein kann den nicht überwältigen, der im Vertrauen geborgen ist. Dieses Vertrauen gilt Gott, oder gilt Mitmenschen oder gilt den eigenen Kräften. Dementsprechend ist es Vertrauen auf festen Grund oder Vertrauen auf ein wankendes Gebilde.
Ich möchte wie Abraham vertrauen können auf jenen Ungesehenen und doch Lebendigen der ihm / mir feste Zusage gibt. Vertrauen ist Grundlage eines unerschütterlichen Glaubens, der wiederum tiefes Vertrauen schenkt…
Wer nicht aufbricht aus alten Gewohnheiten, nicht ausbricht aus vorgefassten Vorstellungen, nicht hinter sich lässt eingeimpfte Meinungen, die nur von anderen stammen, der kann keine Begegnung erfahren. Begegnung ist zugleich schenken und beschenkt werden.
Nur wenn ich mich dem andern öffne, ihm nicht nur Dinge und Geschehnisse mitteile, sondern mich selbst mitteile, ob Freude oder Schmerz, ob Glaube oder Enttäuschung, ob Lachen, ob Empörung, nur dann vollzieht sich wirklich Begegnung.
Ausbrechen aus dem eigenen Gefängnis starrer Meinungen und unterdrückter Gefühle, Freundlichkeit akzeptieren und in der Begegnung wandeln in Freundschaft – vielleicht gelingt das wenigstens hie und da. Die Einsamkeit durchbrechen…
Nun war P. Edgar in der vergangenen Woche bereit aufzubrechen im festen Vertrauen auf Gott, der ihm eine ewige Heimat, einen Ort des ewigen Friedens vorbereitet hat. Ich habe das Verlangen, aufzubrechen und bei Christus zu sein. Dein Verlangen Edgar ist nun erfüllt. Der auferstandene Herr schenke dir sein Erbarmen und seine Freude.
Und wo stehen wir heute? Hat uns dieses Wort vom Aufbrechen angesprochen? Sind auch wir bereit, unsere Gepäcke und Ängste zu verlassen, um Neues zu wagen im Vertrauen auf den Auferstandenen, der uns auf dem Weg begleitet und uns den Sinn des Lebens erschliesst? Sind wir bereit, eine echte Begegnung zu wagen mit uns selbst, mit den anderen und nicht zuletzt mit Gott selbst? Sind wir zu echter Freundschaft bereit, zu der Jesus uns einlädt? Wollen wir sie auch mit den anderen teilen, gleich im Brechen des Brotes und im alltäglichen Leben? Brechen auch wir auf, um Freiheit und Leben in Fülle zu haben.
Todesanzeige – P. Edgar Hasler MS